Illustrationen und Geschichten
Übersicht
Das Hündchen Bonbel
Käpt'n Seehund
Der kleine Fisch
Schneeflockengeschichten
Regenbogengeschichte
Das Hündchen Bonbel
(Eine Geschichte von Bali Tollak mit Illustrationen von Ludwig Schopp, © 2012)
Herr Magritte heißt mit dem Nachnamen wie der berühmte belgische Maler, René Magritte. Aber er malt nicht, sondern er ist Rentner, interessiert sich für Politik und liest leidenschaftlich gerne Zeitung im Café Bleu. Er wohnt in einem der typischen belgischen Kleinstädte in einem der grauen schmalen Häuser mit Vorgarten und Garage. Sein Hund, der kleine schwarz-weiße kecke Bonbel heißt wie eine berühmte französische Käsemarke. Jean Magritte geht gerne in Museen und hat auch einen Lieblingsmaler - natürlich seinen Namensvetter René, auf den er sehr stolz ist. Bonbel hat auch mit Käse zu tun, er liebt nämlich Käse, vor allem, wenn er gut riecht. Leider bekommt er nur ab und zu welchen von Herrn Magritte, wegen der Verdauung. Jeden Tag steht Herr Magritte früh auf - eben wegen Bonbels Verdauung. Und weil sie beide gerne in den Gassen des Ortes herumstromern. Herr Magritte und sein Hund Bonbel kehren danach nicht sofort nach Hause zurück, sondern sie gehen frühstücken. Jeden Morgen, ins Café Bleu. Guten Morgen, Monsieur Magritte, hallo Bonbel, sagt die Bedienung. Guten Morgen, Nadine, erwidert Herr Magritte. Hier, Monsieur, die neuste Zeitung, sagt Nadine. Herr Magritte nimmt die Zeitung und fängt zu lesen an. Bonbel setzt sich brav unter den Tisch und wartet der Dinge. Es riecht gut nach Kaffee. Herr Magritte liebt den Morgenkaffee, immer mit frischen knusprigen Croissants. Danke, Nadine, hmm wie das duftet.... Bonbel bekommt von Nadine ein Schälchen Wasser und, ab und zu, ein kleines Stück Käse, oh, wie der duftet! Wenn Magritte seinen Kaffee getrunken, die Croissants gegessen und die neuste Zeitung gelesen hat, schnalzt er mit der Zunge und Bonbel kommt unterm Tisch hervor. Danke, Nadine, wir gehen, bis morgen, es war wieder perfekt. Magritte und Bonbel gehen langsam durch den Ort nach Hause. Magritte lebt fast so wie sein berühmter malender Namensvetter in einem kleinen bürgerlichen Haus. Er hat sogar einen Kamin in Wohnzimmer. Da fahren aber nicht, wie auf einem Gemälde des Malers Züge durch, sondern er wird von Herrn Magritte beheizt, wenn es kühler wird. Dann sitzen Herr Magritte und sein Bonbel vor dem Kaminfeuer und Magritte liest laut aus einem Buch oder der Zeitung und Bonbel träumt von Käse oder dem Meer. Denn, Magritte und Bonbel lieben besonders Spaziergänge am Meer! In Magrittes kleinem Garten steht hinter der Garage ein Wohnwagen. So ein älterer, kleiner, mit Aufbau. Bonbel findet, innen riecht er nach Meer und Strand und anderen herumtollenden Hunden, auch wenn er die meiste Zeit des Jahres in Magrittes Garten auf den nächsten Urlaub wartet. Im Frühjahr werden Magritte und Bonbel unruhig. Magritte muss den Wohnwagen lüften und schauen, ob alles in Ordnung ist. Bonbel saust dann wie verrückt um den Wagen, als ob es jetzt schon losgehen würde. Langsam, Bonbel, nicht so schnell, wir wollen ja nur mal schauen, ob keine Feuchtigkeit hereingekommen ist und alles stimmt. Herr Magritte steht verträumt vor dem Wohnwagen und raucht eine seiner starken Zigaretten. Auch im Wohnwagen riecht es noch nach Zigaretten, denn Magritte hat ein Laster, wie er immer sagt, er raucht zu viel. Er raucht aber nicht in seiner Wohnung, nur auf dem Balkon und auch nicht im Café Bleu. Macht nichts, sagt Magritte, als er auf dem Teppich des Wohnwagens noch ein wenig Sand findet und ihn wegkehrt, es kommt ja bald wieder neuer hinzu. Bald. – Das Wort kennt Bonbel. Bald klingt verheißungsvoll: bald - eine leckere Wurst, bald - einen Spaziergang, bald - ein Stück Käse, bald - ans Meer. Ans Meer !!! Eines Tages ist es soweit. Der Nachbar ruft herüber: Ah, Monsieur Magritte, geht es ans Meer?, als Magritte und Bonbel den kleinen Wohnwagen für die Reise richten. Ja, ruft Magritte, es geht wieder an die Küste. Bonbel ist jetzt ganz außer sich. Er springt wie ein Zirkushündchen, macht Saltos und läuft hin und her zwischen dem kisten- und koffertragenden Magritte, der einmal fast wieder über Bonbel gestolpert wäre. Langsam, langsam, Bonbel, sagt Magritte, es geht ja erst übermorgen los. Dann ist es soweit! Herr Magritte überprüft ,ob auch alles in Ordnung ist. Sein Auto ist betankt, die Reifen sind mit Luft gefüllt und das Kühlwasser stimmt auch. Wir haben ja wohl nichts vergessen, oder Bonbel? Kaffee, Tee, Wasser, Saft, Seife, Waschmittel, Wäscheleine, Spülmittel, Lebensmittel, und - natürlich: Hundefutter für Bonbel. Den Rest kaufen sie im Badeort. Jetzt geht es los, die Nachbarn winken. Auf Wiedersehen, Monsieur Magritte! Adieu Bonbel! Und kommt gesund wieder! Jetzt sind sie schon auf der Autobahn, die nach Westen und zum blauen glitzernden Meer führt. Bonbel sitzt brav auf dem Rücksitz. Manchmal schließt er auch ein Auge zu, aber das andere schaut nach vorne zu Herrn Magritte, wie er am Lenkrad sitzt. Bald sind wir da, Bonbel, sagt Herr Magritte. Bald? Am Meer? Bonbel würde vor Freude am liebsten einen Salto machen. Aber, das geht jetzt nicht, hier im Auto. Herr Magritte ist befreundet mit Max, dem Campingplatzbesitzer. Magritte hat schon lange Zeit bei ihm seinen Stammplatz. Auch schon, als Frau Magritte noch lebte und es Bonbel noch nicht gab. Aber jetzt reist Magritte mit Bonbel jedes Jahr zum Campingplatz von Max. Um zum Meer zu kommen, müssen Herr Magritte und Bonbel eine große laute Strasse und Straßenbahnschienen überqueren. Bonbel kennt das Straßenbahnfahren. Einmal war Herr Magritte mit seinem Hund in der Straßenbahn sogar bis Ostende gefahren und zurück! Das war ein Gerattere und Geschiebe und Bonbel sah zumeist die Beine der Mitfahrenden. Aber Herr Magritte blickte ganz begeistert zum Fenster hinaus auf das Meer. Am schönsten sind aber die Spaziergänge am Meer. Die Promenade führt entlang des Sandstrands und der vielen großen Hotels. Die Häuser hier sind viel größer und höher als die im Wohnort von Magritte und Bonbel. Alles ist im Sommer voll besetzt. Alles ist laut und bunt und am Strand toben die Kinder Und die Hunde. Magritte löst die Leine von Bonbels Halsband - und Bonbel rast los. Er läuft wie wild über den Sand, macht ab und zu seine Saltos, dass die Leute nur so schauen! Oder er tobt mit anderen Hunden. Sie laufen um die Wette, ein bisschen auch ins Wasser. Aber, dann ruft Herr Magritte. Die Wellen sind so hoch und Bonbel ist so klein! In einem der Ferienhäuser wohnt Felix. Er macht auch oft Urlaub, wenn Magritte und Bonbel Urlaub machen. Magritte und Felix kennen sich schon lange. Felix besucht auch zuhause manchmal Magritte. Die Ferienwohnung von Felix ist ganz oben, im fünften Stock. Um hochzukommen, benutzen Magritte und Bonbel den Aufzug. Vom kleinen Balkon aus hat man eine wunderbare Aussicht auf das Meer. Die beiden Männer sitzen an einem weißen Balkontisch und trinken Kaffee und Felix schenkt Bonbel ein Stück Käse. Das schmeckt! Magritte und Bonbel liegen im Wohnwagen. Die Morgensonne blinzelt schon durch die Vorhänge und Bonbel wird unruhig. Herr Magritte rührt sich nicht. Er liegt auf seinem Bett, ganz still. Normalerweise müsste er doch jetzt aufstehen und mit Bonbel die Morgenrunde drehen. Aber, Herr Magritte bleibt liegen. Bonbel springt auf das Bett, beschnuppert sein Herrchen, das sich immer noch nicht rührt. Zum Glück kann Bonbel für einen kleinen Hund sehr laut und nachdrücklich bellen. Er bellt und bellt und hört gar nicht mehr auf. Dann springt er gegen die Wohnwagentür. Bonbel kann ja Saltos und springen wie ein Zirkushündchen! Es gelingt ihm, die Türe zu öffnen. Bonbel läuft zum Wohncontainer der Nachbarin Mette. Er springt die Treppen hoch und wirft sich gegen Mettes Tür und bellt und bellt. Zum Glück ist Mette da und kommt aus dem Container. Was ist los, Bonbel, ist was passiert? Bonbel bellt weiter und läuft schnell voran - zum Wohnwagen von Magritte. Mette kommt sofort hinterher und schaut in den Wohnwagen. Da liegt Herr Magritte, immer noch bewegungslos. Monsieur Magritte? fragt Mette. Sie schüttelt ihn, dann ruft sie sofort auf ihrem Telefon den Krankenwagen. Nun kommen auch Max und andere Campingplatzbewohner. Da ist schon der Krankenwagen mit Blaulicht! Zum Glück ist Herr Magritte noch am Leben! Der Notarzt gibt Magritte eine Infusion und die Sanitäter schließen ihn an ein Beatmungsgerät an. Der Krankenwagen fährt mit Herrn Magritte in die Klinik. Mette nimmt Bonbel mit in ihren Wohncontainer. Sie streichelt ihn ganz fest und sagt: Bonbel, Du bist ein toller Hund! Du hast Deinem Herrchen das Leben gerettet! Zum Glück haben die Sanitäter Herrn Magritte rechtzeitig geholt. So bleibt es bei einer Herzschwäche und Herr Magritte darf nach ein paar Tagen wieder aus dem Krankenhaus. Da der Urlaub ohnehin fast zu Ende ist, ist es nicht so sehr schlimm, dass Magritte und Bonbel wieder nach Hause müssen. Herr Magritte verspricht, dass er nicht mehr so starke Zigaretten rauchen will, damit sein Herz noch länger schlägt. Bonbel bekommt jetzt öfter seine Lieblingsspeise: schönen duftenden Käse. Denn schließlich hat er ja sein Herrchen gerettet! Und nächstes Jahr fahren sie auf alle Fälle wieder zusammen ans Meer. |
Käpt'n Seehund
(Eine Geschichte von Bali Tollak mit Illustrationen von Ludwig Schopp, © 2012)
Ich weiß gar nicht mehr, wie es gekommen ist, aber eines Tages war er unter uns. Alle nannten ihn Käptn Seehund. Er war hier am Inselhafen das Mädchen für alles: Tickets knipsen, Autos einweisen zur Fähre, mit den Fahrgästen schnacken. Ab und zu fuhr er auch mit, an Bord der kleinen Fährschiffe. Da war er viel geschwinder als wir alten Seebären oder gar die Landratten! Hui, bis Du Dich versehen hattest, war er um die Ecke, kletterte rauf und runter, watschelte in Windgeschwindigkeit über Deck. Und vor allen Dingen war er sturmfest! Selbst bei der rauesten Brise haute es ihn nicht um. Hei, Käptn Seehund, ulkten seine Kollegen, schon mal Neptun geopfert? Wat fürn Shitschnack, erwiderte dann Käptn Seehund, ich hab´n Magen wie ein Seelöwe und brauch dazu auch keinen Rum! Käptn Seehund konnte so einfühlsam sein! Wenn raues Wetter sich ankündigte und der blanke Hans* am Horizont erschien, blieb Käptn Seehund die Ruhe selbst. Wenn ein Fahrgast ängstlich von Sturm und Schiffe kentern sprach, sagte er zuweilen: Sturm? Das soll Sturm sein? Ach was! Bleiben Sie mal gaaanz gelassen! Dem blanken Hans werden wir die Lust schon verdrießen! Besonders liebten ihn die Kinder. Vor allen Dingen die, die ihn schon länger kannten. Mit seinem Gewatschel und den dunklen lustig aufblitzenden Augen brachte er sie zum Lachen. So mancher fremde Fahrgast und Neuankömmling schaute ganz erstaunt: Nanu? Sollte das ... etwa ein Seehund sein in einem Seemannsanzug? Gibt es denn SOWAS sonst noch IRGENDWO? Wenn die Fahrgäste so scheel und neugierig auf ihn starrten, konnte es schon einmal passieren, dass Käptn Seehund eilig seine Jackenärmel runterzog und die weißen Handschuhe fester um die Flossen wickelte. Na, denn man tau* und gute Fahrt voraus, lächelte er die Passagiere an. Am schönsten war es mit Käptn Seehund, wenn alle Schiffe am Abend vertäut im Hafen lagen und er mit uns Kollegen im Gasthaus Zur Möwe saß. Das war so eins bis zwei Mal in der Woche. Ihr werdet es kaum glauben, aber er konnte so schön erzählen, mit seiner fast singenden Seehundstimme. Er erzählte dann von früher, von alten Zeiten. Kennt Ihr den Leuchtturm von Westerhever? Da hab ich mal ´ne ganz tolle Seehundbraut getroffen! und seine schwarzen Äuglein glänzten. Er war auch auf großen Schiffen mitgefahren. Sie konnten ihn gut gebrauchen, weil er nie seekrank wurde. Einmal, erzählte Käptn Seehund, fuhren wir südwestlich von Madagaskar, auf so einem Seelenverkäufer*. Da kam Sturm auf und die halbe Mannschaft lag seekrank in den Kojen. Da auch der Steuermann ausgefallen war, hatte ich einfach das Steuer übernommen! Oder, da waren wir mit einem Bananendampfer in Südamerika, Valparaiso. Von Bord ging ich aber ganz wenig. Ihr wisst ja, wie gemein und böse Menschen sein können, wenn sie so einen kleinen Seehund auf der Straße watscheln sehen. Da blieb ich lieber an Bord und hielt die gute Stube sauber, wenn die Mannschaft Landgang hatte. Wir alle nickten und nippten an unseren Gläsern. Meistens aber, sagte Käptn Seehund, war ich in der Kombüse* eingesetzt. - Mann, habe ich da tolle Fischgerichte gekocht, gebraten und garniert! Und gesülzt und paniert und gepfeffert und mariniert und gesalzen... Mit und ohne Beilagen, bis den Matrosen die Fischschwänze oben zum Hals herausschauten, so haben die reingehauen! Er trank aus seinem Glas, am liebsten Wasser auf Eis. Fisch ist meine absolute Spezialität! Die träumen heute noch von mir und meinen Fischgerichten! So erzählte Käptn Seehund, bis der Mond mitten am Nachthimmel stand. Da leerten wir alle unsere Gläser und verabschiedeten uns bis zum nächsten Tag. Wo und wie Käptn Seehund wohnte, hat keiner von uns je erfahren! Er hatte so ein kleines Boot mit Außenbord-Motor, das er hinten im Hafen liegen hatte. Manches Mal begleiteten wir ihn an den Steg und warteten, bis er hinaus gefahren war. Wir winkten ihm nach, bis er mit seinem Schiff irgendwo am Horizont verschwand. Warum keiner von uns jemals Käptn Seehund hinterhergefahren war? Ich denke, jeder hat sein Recht auf Geheimnisse. Vielleicht wollten wir es auch gar nicht wissen. Wir hatten nämlich alle Angst, dass diese Geschichte sich wie eine Fata Morgana in Luft auflöste. * Blanker Hans (seemännisch) tobende Nordsee bei Sturmfluten * Na, denn man tau (plattdeutsch) na denn mal los * Seelenverkäufer (seemännisch) altes rostiges Schiff * Kombüse (seemännisch) Küche auf einem Schiff |
Der kleine Fisch
Ein Märchen für große und kleine Weltbürger
(Nach einer Geschichte von Ulrich Heinold mit Illustrationen von Bali Tollak, © 1991)
Es war einmal ein kleiner Fisch, der lebte weit unten auf dem Meeresgrund in einer Höhle aus Lavagestein. Die Höhle war so groß, dass sie für den kleinen Fisch allein ein riesengroßer Palast war. Der kleine Fisch hatte sie sehr schön eingerichtet mit schönen Möbeln und Bildern und Vorhängen an den Wänden. Der kleine Fisch war froh, dass er so ein wunderbares Heim gefunden hatte. Als er eine Zeit lang dort wohnte, wurde es dem kleinen Fisch langweilig. So ein schönes Haus, so viel Platz - und immer nur für ihn allein! Da verschickte er mit dem Seepferdchen als Postbote Einladungen an alle Fische und Meerestiere in seiner Umgebung, sie könnten ihn besuchen wann immer sie wollten. Jeder sollte etwas zu essen und zu trinken mitbringen. Dann würden sie lustige Gesellschaften abhalten und zusammen fröhlich sein und viel Spaß haben. Das ließen sich die Eingeladenen nicht zweimal sagen. Jeder brachte etwas mit wenn er kam und von da an war dem kleinen Fisch nie mehr langweilig. Davon hörten auch der Haifisch und der Krake. Auch ihnen gefiel die Idee und sie beschlossen, den kleinen Fisch ebenfalls zu besuchen. Sie waren zwar groß, aber auch der Palast, hieß es, sei sehr groß. Vielleicht konnten sie also an den Gesellschaften teilnehmen. Beide schrieben dem kleinen Fisch einen Brief und fragten an, ob sie kommen dürften. Erstaunt las der kleine Fisch die beiden Briefe und bekam etwas Angst. Der Krake und der Haifisch, das waren alles andere als kleine Fische. Ob diese Art von Gästen den anderen willkommen sein würde? Der kleine Fisch war jedoch besonnen und versuchte nie voreilige Entscheidungen zu treffen. Wenn er sich keinen Rat wusste, fragte er seine Freunde. Das tat er auch jetzt. Den Seestern fragte er, ob er den Kraken einladen sollte. Der Seestern war entsetzt. Ich habe einmal gesehen, wie er einen Nachbarn von mir gefangen und ausgesaugt hat! Der ist böse! Wenn du den Kraken einlädst, kann ich nicht mehr zu Dir kommen! Das machte den kleinen Fisch traurig, denn er wollte nur ungern dem Kraken einen Besuch verweigern. Er hatte so höflich angefragt! Ob er auch den Haifisch nicht einladen sollte, fragte er den Seestern. Doch, den kannst Du jederzeit kommen lassen, antwortete sein Freund, der hat unsereins noch nie etwas angetan. Wir würden auch seinem Magen nicht gut tun. Das beruhigte den kleinen Fisch. Wenigstens diesen Gast konnte er kommen lassen. Aber weil er ein besorgter kleiner Fisch war, fragte er noch einen anderen Freund, den Hering. Den Kraken kannst Du ruhig einladen, sagte der, worüber der kleine Fisch staunte. Der hat unsereins noch nie etwas zuleide getan. Wir wären auch viel zu schnell für ihn, als dass er uns erwischen könnte. Aber als die Rede auf den Haifisch kam, war der Hering entsetzt. Das ist unmöglich!, sagte er, Der verfolgt Heringe und frisst sie, wo immer er sie findet. Wenn Du den einlädst, kann ich nicht mehr zu Dir kommen! Da war der kleine Fisch endgültig verwirrt und sehr traurig. Er hatte es so gut gemeint und jetzt sollte er zwei Gästen, die gerne kommen wollten, die Tür vor der Nase zuschlagen? Lange wusste der kleine Fisch nicht was er tun sollte. Wie er sich auch verhalten würde, er würde sich auf jeden Fall Feinde machen oder mindestens Freunde verlieren. Würde er beide nicht einladen, so wären sicher beide verärgert. Würde er aber auch nur einen von ihnen kommen lassen, so würde die Hälfte seiner übrigen Gäste fortbleiben. Eine Zeit lang schloss sich der kleine Fisch in seinem Palast ein, ließ niemanden mehr herein und überlegte. Nach einer Weile begannen sich die anderen kleinen Fische und alle Freunde, die er sonst noch hatte und die ihn immer wieder besuchen wollten, zu wundern. Gelegentlich klopfte der eine oder andere von ihnen an die Tür und fragte, ob es ihm denn gut gehe. Jedes mal antwortete er, es gehe ihm nicht so gut. Bald werde er wieder Zeit für sie haben und seine Gesellschaften fortsetzen. Mittlerweile war die Rede davon, der kleine Fisch habe sich mit dem Kraken und dem Hai verbündet und führe Schlechtes gegen seine angeblichen Freunde im Schilde. Aber der kleine Fisch wusste nichts von dem, was um ihn herum vorging, denn er war noch immer in seinem Palast eingeschlossen. Eines Tages begegneten sich einige Freunde des kleinen Fisches und kamen miteinander ins Gespräch. Bald entstand aus den vielen kleinen Geschichten, die so zusammen kamen, ein Gerücht. Es waren sich alle einig, dass sich hier nichts Gutes ankündigte. Gemeinsam fühlten sie sich so mutig, dass sie auch gleich einen Plan fassten und beschlossen sich zu wehren, so lange es noch ging. Alle zusammen riefen sie Freunde und Bekannte herbei und stürmten zum Kleiner-Fisch-Palast. Dort begehrte einer von ihnen mit honigsüßer Stimme den kleinen Fisch zu sprechen. Der hatte sich inzwischen so lange eingeschlossen gehabt, dass er meinte, er müsse sich nun doch einmal zeigen. So öffnete er nichtsahnend die Tür. In diesem Augenblick drangen alle Meerestiere, die vor wenigen Tagen noch seine Freunde gewesen waren, in die Höhle ein, packten ihn, nannten ihn einen Verräter und bissen ihn schließlich nieder, ohne dass er sich wehren oder irgend etwas erklären konnte. Als das passiert war, standen sie beisammen, sahen auf den kleinen Fisch hinunter und begannen traurig zu werden und sich zu wundern. Jetzt waren sie auf einmal nicht mehr sicher, ob sie das Richtige getan hatten. Aber es war zu spät. Nicht nur, weil der kleine Fisch jetzt wohl tot war, sondern weil inzwischen der Krake und der Haifisch draußen vor der Tür standen. Weil sie so lange keine Antwort bekommen hatten, hatten beide am gleichen Tag beschlossen, dem kleinen Fisch einen Besuch abzustatten. Jetzt standen sie in der Tür und erkannten was passiert war. Da wurden beide sehr böse und fielen über die versammelte Gesellschaft her. Der Krake fraß die eine Hälfte von ihnen, der Haifisch die andere. Weil die Tür des Palastes eng war, konnte keiner hinaus. So entkam nicht ein einziger. Das alles sprach sich schnell herum. Alle, die davon hörten, glaubten nun wirklich, dass der Krake und der Haifisch die allerbösesten Tiere seien, die unten auf dem Boden des Meeres lebten. Nur ein Gutes hatte die Sache: Der kleine Fisch war nicht wirklich tot. Die Bisse seiner Freunde hatten ihn nur benommen gemacht, aber gestorben war er nicht. Als der kleine Fisch aufwachte, sah er was passiert war und wurde trauriger als vorher. Später erzählte er anderen Meerestieren davon, aber keines wollte ihm seine Geschichte glauben. Da packte der kleine Fisch das Notwendigste zusammen und schwamm fort. In einem weit entfernten Teil des Meeres suchte er sich eine neue Höhle. Diesmal eine kleinere, die gut für ihn ausreichte und auch sehr gemütlich war. Langsam wurde er wieder gesellig. Aber weil er nicht mehr so viel Platz wie früher hatte und sein Vertrauen in die Welt verloren war, lud er von da an immer nur wenige Gäste zu sich ein. Auch das waren dann nette Abende in guter Gesellschaft. Eines Tages kamen der Krake und der Haifisch vorbei, die weiter wanderten als die kleinen Fische. Ins Haus lassen konnte er sie nicht, das war jetzt nicht mehr groß genug. Aber sie brauchten auch kein Haus, um sich zu unterhalten. Sie setzten sich draußen nieder, während der kleine Fisch auf seiner Türschwelle lag und dann pflegten auch sie schöne Abende zusammen zu verbringen. Man sollte nicht zu sehr auf jede Meinung hören, dachte der kleine Fisch. Man sollte selbst entscheiden. Ob einer gut oder schlecht ist, hängt wohl manchmal von den Umständen ab. Und das entschied er von da an ganz alleine. Aber er hatte sich noch immer sein großes, weites, freundliches Herz bewahrt. Allen in seiner Umgebung, ob groß oder klein, ob friedlich oder gefräßig, machte er noch oft - so lange er lebte - Freude, und sei es nur durch freundschaftliches Zuhören. Obwohl es tief unten auf dem Meeresboden nicht immer friedlich zugeht, was man in dieser Geschichte leicht erkennen kann, lebte der kleine Fisch noch lange und war zufrieden. Als er schließlich alt wurde, kam er zu der Feststellung, dass es ganz in Ordnung sein konnte, nur ein kleiner Fisch zu sein. In die Geschichte eingegangen ist er freilich nicht. Und wenn ich nicht alles aufgeschrieben hätte, so wüsste heute niemand mehr etwas davon. |
Schneeflockengeschichten
(Texte und Illustrationen © Bali Tollak 2002)
Das Eisland der Kalten Maria Format: A4 (hoch) Dateigröße: ca. 1,75MB |
Die Reise der Schneeflocke Dicke Berta Format: A4 (hoch) Dateigröße: ca. 1,75MB |
Die Schneeflocke Emma und die Lawine Format: A4 (hoch) Dateigröße: ca. 1,75MB |
Wie die Schneeflocke Peter zur Disco kam Format: A4 (hoch) Dateigröße: ca. 1,75MB |
Wie die Schneeflocke Sanfte Anna auf die Erde kam Format: A4 (hoch) Dateigröße: ca. 1,75MB |
Regenbogengeschichte
(Text © Bali Tollak 2002)
Es war einmal ein Regentropfen, der rutschte mit anderen Regentropfen von einem großen Blatt in die Wiese.
Wo kommt ihr denn her? fragte ein großer blauer Käfer den kleinen Wassertopfen.
Ich glaube, vom Himmel, sagte der Tropfen. Paßt auf, dass euch die Sonnenstrahlen nicht auflecken,
lachte der Käfer und lief davon, die Sonne hat ständig Durst!.
Die Sonne hat ständig Durst? dachte der kleine Wassertropfen, der auf dem Wiesengrund lag; oh weh, was tun?
Noch lag er bäuchlings in der Morgenkühle. Es hatte nachts stark geregnet und viele andere Tropfenkinder waren mit ihm
hier versammelt und benetzten das Gras. Vögel kamen auf die Wiese geflogen und suchten fette Regenwürmer, der blaue Käfer
aber war fort. Der kleine Wassertropfen dachte an die durstige Sonne. Doch noch war es ja kühl.
Auf einmal brach über der feuchten Wiese helles Licht aus, die wärmenden Sonnenstrahlen glätteten die Gräser,
die Blumen reckten ihre Köpfe und öffneten ihre Blüten hin zum blauen Himmel. Bevor sich der Wassertropfen versah,
wurde er von einer unsichtbaren Kraft nach oben gehoben - mit all den anderen Tropfenkindern. Immer weiter, hoch, höher und
höher - und da bildeten sie zusammen einen dichten, weißen Wolkenhaufen voller Regentropfenkinder. Sie waren an den Strahlen
der Sonne wieder nach oben - in die Wolkenhäuser - gestiegen.
Dort oben riefen sie sich lustige Sachen zu, hüpften hin und her und fühlten sich in der Welt der Luftgeister und der
Wolkenvorhänge besser als unten im Gras. Sie waren weit oben über den Wiesen und dem grünen Wald. Immer
wirbelnder wurde der Tanz der Regentropfenkinder. Sie wuchsen und wuchsen und wurden schwerer und schwerer. Plötzlich
rissen die Wolkenvorhänge und alles begann von vorn. Sie fielen hinunter auf die Erde.
Es regnet, sagten die Menschen und spannten ihre Schirme auf. Da kam Mutter Sonne und sah nach ihren Tropfenkindern.
Die tanzten gerade einen wunderbar farbigen Regenbogentanz im Licht von Mutter Sonne und am Himmel erstrahlten die schönsten
Farben: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett. Ein Erdenkind sah diesen Regenbogentanz der Tropfenkinder und malte
seiner Mutter ein wunderschönes Regenbogenbild.
Mal doch auch mal ein Bild zu dieser Geschichte!
Die Klasse 1b der Grundschule Hötensleben (Sachsen-Anhalt) hat 2002 zu dieser Geschichte Bilder gemalt:
Illustration von Kati |
Illustration von Sebastian |
Illustration von Mushin Mohammed |
Waterconnection Illustration von Dr. Friederun Friederichs-Hardt aus Herrenberg zur Regenbogengeschichte von Bali Tollak Mischtechnik; Aquarell, collagiertes Foto als Farbkopie, beklebt mit Papierwassertropfen Der Weg des Wassers 2002 |